Rolle der Bezirksvertretung bei der Genehmigung von Befreiungen von Bebauungsplänen

25. Januar 2023

An die Bezirksbürgermeisterin des Stadtbezirks 6
Frau Birgit Schentek

Anfrage:

Die Verwaltung wird gebeten, die folgenden Fragen zu beantworten:

  1. Inwiefern sind die Bezirksvertretungen frei darin, zu beurteilen und abzuwägen, ob die rechtlichen Voraussetzungen (z.B. ob die Bebauung dem Gebietscharakter entspricht) für eine Befreiung von einem Bebauungsplan vorliegen?
  2. Wenn eine Bezirksvertretung mehrheitlich anderer Auffassung bezüglich des Bestehens der Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung ist als die Verwaltung, erlangt ihr Beschluss dann Gültigkeit?
  3. Weshalb werden bzw. wurden der Bezirksvertretung bei Anträgen zur Befreiung nicht alle relevanten Informationen zur Begründung der Zulässigkeit der Befreiung zur Verfügung gestellt (siehe Fall in der Begründung)? Kann ein Beschluss rechtskräftig sein, wenn Informationen fehlen?

Begründung:

Gemäß § 3 Abs. 5 der Bezirkssatzung “entscheiden” die Bezirksvertretungen über “Ausnahmegenehmigungen und Befreiungen nach Baugesetzbuch und Landesbauordnung NW, soweit für den Stadtbezirk wesentliche städtebauliche Gesichtspunkte berührt werden”. Unklar ist hierbei, welcher Entscheidungs-und Abwägungsspielraum der Bezirksvertretung damit eingeräumt wird. Mitunter wurde auf Sitzungen die Behauptung geäußert, dass die Bezirksvertretung lediglich dazu berechtigt sei, dem Verwaltungsvorschlag zu folgen und entsprechende Vorlagen anzunehmen. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, wäre das eine erhebliche Einschränkung der Zuständigkeiten der Bezirksvertretung. Es würde sich nicht erschließen, warum diese Angelegenheiten dann zur Abstimmung in einem durch die Bevölkerung gewählten politischen Gremium vorgelegt werden.

Ferner ist die Erörterung bezüglich des Vorliegens der rechtlichen Voraussetzungen für eine Befreiung vom B-Plan seitens der Verwaltung mitunter unvollständig. Die Vorlage BV6/164/2022 hat beispielsweise die Befreiung von einem Fluchtlinienplan erbeten. Hierfür sind die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB für die Befreiung von einem Bebauungsplan sowie darüber hinaus die Vorgaben aus § 34 BauGB zur Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile maßgeblich.
Der Begründung der Verwaltung konnte man jedoch keinen Verweis auf § 31 Abs. 2 BauGB entnehmen, der überhaupt die Grundlage für eine Befreiung darstellt, und keine Erläuterungen dahingehend, inwiefern die dort aufgeführten Bedingungen gegeben sind.

Hierzu insbesondere: Es fehlte die Ausführung dazu, ob die „Grundzüge der Planung“ berührt werden. Es fehlte die Erläuterung, ob die Befreiung 1. aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit, 2. aufgrund städtebaulicher Vertretbarkeit oder 3. aufgrund des Eintretens nicht beabsichtigter Härte bei Ablehnung stattfinden soll. Es fehlte die Ausführung dazu, ob „die Abweichung auch unter Würdigung nachbarschaftlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist“.

Diese Informationen wurden auf Nachfragen hin in der Sitzung mündlich nachgeliefert. Allerdings ist es für uns als Bezirksvertreter*innen ohne tiefergehende Kenntnis des Bau-und Planungsrechts von Wichtigkeit, dass wir vom Amt zu den Vorlagen vollständig und verständlich informiert werden. Bei Befreiungen zählen Informationen bezüglich der Zulässigkeit der Befreiung unbedingt zu den erforderlichen Unterlagen. Erforderliche Unterlagen müssen der Ladung beiliegen. Die Weitergabe der notwendigen Informationen sollte nicht davon abhängig sein, ob eine Fraktionen danach fragt oder weitreichende Kenntnis über das Baugesetzbuch verfügt.

Wir haben insbesondere Sorge davor, dass Beschlüsse der Bezirksvertretung rechtlich anfechtbar sind, wenn erforderliche Unterlagen nicht vollständig mit der Ladung zugesandt werden.

Gez. Florian Ries       Antonia Frey        Ralf Molnar        Lukas Mielczarek

 

Update  vom 10.05.2022:

Das Bauaufsichtsamt (Amt 63) beantwortet die Fragen wie folgt:

Antwort auf Frage 1:

Die Bezirksvertretung kann bei der Beschlussfassung über eine Bauvoranfrage oder einen Bauantrag nicht anders entscheiden, als die Bauaufsichtsbehörde entscheiden dürfte. Bei der Entscheidung, ob eine Befreiung zu erteilen ist, handelt es sich gem. § 31 Abs. 2 BauGB um eine sogenannte Ermessensentscheidung. Im Rahmen einer solchen Ermessensentscheidung dürfen nur städtebauliche Gründe unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Falles einbezogen werden. Hierzu gibt es rechtliche Vorgaben und die Frage der „offenbar nicht beabsichtigten Härte“ ist zu berücksichtigen.

Antwort auf Frage 2:

Ein von dem Entscheidungsentwurf der Verwaltung abweichender Beschluss der Bezirksvertretung erlangt Gültigkeit. Sofern der Beschluss nach Auffassung der Verwaltung geltendes Recht verletzt, kann er durch den Oberbürgermeister gem. § 54 Abs. 2, Abs. 3, i.V.m. § 37 Abs. 6 Satz 4 GO NRW beanstandet werden. Sofern aufgrund der Entscheidung der Bezirksvertretung die Erteilung einer Befreiung abgelehnt werden muss, kann diese Ablehnung durch den Bauherrn außerdem einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden.

Antwort auf Frage 3:

Das Ziel der Verwaltung ist es immer, der Bezirksvertretung alle entscheidungserheblichen Tatbestände vorzulegen. Dazu dienen – neben den Vorlagen – auch die Aussprachen in den Sitzungen. Damit ist sowohl eine Nachfragemöglichkeit als auch eine hohe Transparenz gegeben.Grundsätzlich, aber auch aufgrund der hiesigen Nachfrage, sagt die Bauaufsicht zu, weiterhin die Vorlagen so zu optimieren, dass die Entscheidungsgrundlagen deutlicher und für alle verständlicher formuliert werden. Dennoch bitten wir um Verständnis, dass der Verweis auf Paragrafen erforderlich ist und bleibt.